„Weißenbacher Weg“ (300m, 8+/9-) – Planspitze Nordwestgrat-Pfeiler (Gesäuse)
von Oliver
Hat man als Kletterer im Jahre 2019 das Ziel, eine Erstbegehung an einer schönen Felswand in Österreich zu machen, steht man definitiv vor einer schweren Aufgabe. Die tief hängenden Früchte wurden zweifellos von den vorherigen Generationen gepflückt, die offensichtlichen Linien an den schönen, großen Wänden wurden längst gemacht. Man braucht also eine Portion Glück, eine gute Gebietskenntnis und eine Menge Kreativität und Motivation um eine noch jungfräuliche, lohnende Linie zu finden.
Der Planspitz-Nordwestgratpfeiler – wo soll denn der bitte sein? Die meisten Gesäuse Kletterer kennen ihn trotzdem und sind vermutlich schon des öfteren daran vorbei gegangen, aber mit anderen Zielen im Kopf. Auch ich bin oft daran vorbeigegangen, am Zustieg zu den schönen Touren der Planspitze-Nordwest-Wand. Dort ist sie die erste Wand die man erblickt, wenn man endlich aus dem mühsamen Höllersteig herauskommt und vor den ersten Felsen steht. Ich begann vorsichtig herumzufragen, ob eigentlich Touren durch diese abweisende Wand führen, doch niemand wusste von etwas. Die linke Kante wurde des Pfeilers wurde von Hoi/Almberger durchstiegen, die Wand schien aber noch unberührt zu sein. Sollte das möglich sein?
Im Sommer 2019 war es dann so weit. Mit Tom Stanzinger fand ich einen motivierten Mitstreiter und so stiegen wir mit schweren Rucksäcken über den mühsamen Höllersteig unter die Wand. Sie sah definitiv steiler aus, als ich sie in Erinnerung hatte. Abweisend! Vor allem der Dachriegel im unteren Wandbereich sah knackig aus und die logischen Linien, die den Einstieg in die steilen Platten der Wand ermöglichen ließen sich an einem Finger abzählen. Der Weg war also klar.
Voll motiviert startete ich also in die erste Länge, den vermeintlichen „Zustieg“ zur Dachzone. Die Länge hatte es gleich ziemlich in sich, der Fels erwies sich vor allem in den ersten Metern als nicht ganz vertrauenserweckend. Also lieber mal einen Bohrhaken setzen, das gibt definitiv Mut. Eine schöne, im Urzustand doch noch recht botanisch interessante Verschneidung führt schließlich zum ersten Stand. Dann war Tom an der Reihe, der einen Quergang der Marke „Nid schwa owa bled“ hinter sich brachte und in einer Nische Stand machte. Nun war die steile Verschneidung an der Reihe. Mit viel Einsatz und Kraftaufwand kämpfte ich mich höher, bis es mich aus der brüchiger werdenden Verschneidung in die schöne steile Wand daneben drängte. Ich brauchte einige Versuche und Stürze um die Sequenz zu entschlüsseln, bis ich endlich wieder eine Sicherung anbrachte. Eine letzte, kraftraubende Piazverschneidung brachte mich auf das heißersehnte Podest, auf dem ich Stand machte. Ab nun sollte es leichter werden. Dachten wir jedenfalls. Ein wenig leichter wurde es auch, aber die Wand zeigte sich immer noch steiler als gedacht, wenngleich der Fels nun etwas kletterfreundlicher wurde. Die Sonne war mittlerweile schon um die Ecke gekommen und die Haken waren aufgebraucht – wir mussten also ein anderes Mal weiter machen. Sehr erschöpft, aber voller Vorfreude auf die Fortsetzung der Tour seilten und stiegen wir zum ersehnten Bier ab.
Ein paar Wochen später bot sich uns wieder ein freier Schönwettertag, den wir sogleich nutzten und wieder unsere schweren Rucksäcke den Höllersteig hinaufschleppten. Wer hat dem Steig eigentlich seinen Namen gegeben? Vielleicht wäre er etwas weniger mühsam wenn er „Engelsleiter“ oder „Freudenpfad“ hieße… Diese und viele andere zeitvertreibende Gedanken später standen wir wieder beim Einstieg. Wir eilten durch die schon gemachten längen um schnellstmöglich mit der Fortsetzung starten zu können. Und die ging gleich ordentlich los. Der logische Weg leitete uns eine weitere steile Rissverschneidung hoch, die sehr cool, aber fordernd zu klettern war. Unter einem Überhang bezog ich Stand und sicherte Tom gespannt nach – was er wohl zum Weiterweg sagen würde? Gerade hinauf ging nicht. Links um die Ecke sah es nach leichterem Gelände aus, das uns aber aus der Wandmitte wegführen würde. Und rechts ging es ziemlich steil in die markante Höhle der Wandmitte. Wär eigentlich schon cool, dort hin zu klettern, oder? Also fasste sich Stanzi ein Herz und startete eine massive Querung, die mit ihrer Steilheit und Ausgesetztheit einiges an Courage forderte. Aus der Zuschauerperspektive bot sich mir ein mitreißedes Spektakel, das mit einem freudigen Ausstieg in die Höhle endete. Diese Länge würde als „Bürgermeister Rudi Gedächtnistraverse“ in die Annalen eingehen.
Nun waren wir in den oberen, hellen Platten angekommen. Das Gelände wurde langsam flacher, der Fels fest und schön und die Kletterei machte richtig Spaß. So war schließlich nur mehr eine Länge, 2 Schlaghaken und 8 Bohrhaken übrig. 4 Bohrhaken mussten für Standplätze zurückgehalten werden, also blieben für die letzten 45 Meter 6 Zwischenhaken. Der Wille, die Tour endlich fertig zu klettern, trieb mich mit vollem Fokus und Willen, dem Genuss üppiger Absicherung entbehrend, durch die steile Abschlusswand bis ich knapp unter der Spitze des Pfeilers auf einem gemütlichen Band 2 Standbohrhaken versenkte. Die Wand war endlich durchstiegen und wir sind unsere Tour zu Ende geklettert. Die Freude war groß, der Durst aber größer. Und so waren wir nach 6 teils sehr luftigen Abseilern wieder beim Einstieg und kurze Zeit später im Gastgarten der Bachbrücke beim Johnsbachsteg. Wir feierten die Entstehung des „Weißenbacher Wegs“, in Gedenken an unseren in den Tiefen der Gemeindefusionierungen verschwundenen Heimatort.
Nachdem die erste Euphorie vorbei war wuchs in uns immer mehr die Erkenntnis, das die Tour in diesem Zustand wahrscheinlich kaum Wiederholer finden würde. In der Schlüsselstelle wären einige Züge im 8. Grad zwingend frei zu klettern und ein Großteil der Tour ist sehr rustikal abgesichert, sodass wir eine Wiederholung der Tour kaum empfehlen wollten. Natürlich wäre es für den inneren Alpinisten schön, wenn die Tour ganz im Stile der Erstbegehung als Zeuge der eigenen Mut und Willenskraft bestehen würde. Aber von diesem Zeugnis würden nicht viele etwas haben. Und als moderne und aufgeschlossene Kletterer ziehen wir das Klettererlebnis und den Wunsch, diese Tour mit mehr Menschen zu teilen dem Stolz vor.
Darum beschlossen wir, die Tour erstens noch etwas nachzubohren, und zweitens dabei auch gleich eine freie Begehung zu probieren. Im August 2020 war es schließlich so weit: wir ergänzten 15 zusätzliche Bohrhaken, wodurch der Klettergenuss nun deutlich erhöht ist und die schwersten Stellen auch A0 geklettert werden können. Eine Plaisirtour ist es dadurch trotzdem nicht unbedingt und es muss an vielen Stellen ordentlich über die Haken hinausgeklettert werden. Was nun im Endeffekt dabei herausgekommen ist entnehmt ihr am besten dem Topo, den Bildern oder – im besten Fall – ihr schaut es euch vor Ort selbst an.
Facts:
„Weißenbacher Weg“ – Planspitze Nordwestgrat-Pfeiler
Oliver Rohrmoser und Thomas Stanzinger, 2019-2020
12 Seillängen
300m
8+/9- (7+ obl.)
Anspruchsvolle, steile Freiklettertour in großteils schönem Fels, der aber auch abenteuerliche Passagen aufweist. Steile Verschneidungen, diffizile Platten und eine oft sparsame Absicherung fordern kreatives und sauberes Klettern sowie eine gewisse Portion Moral
Material: 12 Expressen, BD-Cams 0,3-2, Kleine bis mittlere Keile
Zustieg: 1,5 – 2 Stunden via Höllersteig ab Parkplatz Buchsteinhaus in Gstatterboden
Abstieg: Abseilen über die Tour
Tipp: Gleich neben dem Einstieg rinnt meistens etwas Wasser herunter, bei dem man in nicht allzu trockenen Zeiten die Wasserflasche auffüllen kann.