Klettern im Gesäuse

Die mächtigen Gesäuse Norwände mit der Rosskuppenkante in der Bildmitte

Das Gesäuse ist längst kein Geheimtipp mehr. Im Osten Österreichs hat es schon lange seinen Platz in den alpinen Köpfen, seit ein paar Jahren weitet sich sein Ruf als „wilde Perle des Ostens“ auch über die Landesgrenzen hinaus aus. Folgt man der Enns von Liezen ostwärts, fährt man vorbei an grünen Hügeln, die Felsberge verschwinden und man hat das Gefühl, als würde man bald den Rand der Alpen erreichen. Doch erreicht man das verschlafene Nest Ardning, erblickt man plötzlich ein wildes Felsgerippe in der Ferne. Es sticht aus den grünen Hügeln heraus und strotzt nur so vor Wildheit und Schönheit. Kein Kletterer kann sich diesem Anblick entziehen. Man sieht sofort: Hier haben sich die Alpen noch einmal ein paar ordentlichen Juwelen geschmückt.

Wenn es ums Klettern geht, hat das Gesäuse eine sehr lange Geschichte. Mit Klettern ist hier immer das Alpinklettern gemeint. Sportklettern kann man im Gesäuse zwar auch, aber im Vergleich zu dem, was es an alpinem zu bieten hat, ist das Sportklettern Nebenschauplatz. Die frühen Erschließer-Jahre im Gesäuse waren geprägt von Heldentaten, kühnen Seilschaften aber auch zahlreichen Tragödien. Das Gesäuse ist kein Kindergarten – das war es nie, und ist es auch jetzt, trotz moderner Ausrüstung und vielen Bohrhaken nicht.

Woher das Gesäuse seinen wilden Ruf hat erschließt sich recht schnell, wenn man einmal inmitten der Gesäuse-Nordwände steht. In fast allen Fällen sind die Wände hoch, die Zustiege lang und die Abstiege noch länger. Des einem Leid, des anderen Freud. Die meisten Touren muss man sich verdienen – es gibt kaum Mautstraßen und überhaupt keine Seilbahnen. Und spätestens seit dem Erhalt des Nationalpark-Status wissen wir, dass das auch so bleibt. Und das ist gut so! Denn wenn man nach einem langen Klettertag im Gastgarten des Kölblwirtes oder der Haindlkarhütte sitzt, geht die Seele fast über vor Erlebtem.

Alpinklettern mit Animont

Mit der neuen „Gesäuse-Bibel“, die Andi Hollinger und Jürgen Reinmüller letztes Jahr veröffentlicht haben, gibt es eine top-aktuelle Überschau über die Routenauswahl im Gesäuse. Und die ist riesig! Über 1000 Kletterrouten ziehen durch die Felswände des Gesäuses. Da stellt sich für den Gebiets-Neuling die Frage: wo fängt man an?

Wie immer kommt es darauf an, was man will und was man kann. Für völlige Kletter-Neulinge ist die Auswahl recht gering, da empfiehlt sich am ehesten noch der Admonter Kaibling. Der ist am leichtesten erreichbar und wartet mit einigen Routen im 4. und 5. Schwierigkeitsgrad auf. Aber der Kaibling ist nicht das richtige Gesäuse! Das erlebt man, wenn man an der Hochtorgruppe oder dem Buchstein klettert. Und da wirds – vor allem konditionell – schnell recht anspruchsvoll.

Für konditionell fitte Einsteiger im Klettern, oder den für Österreich recht typischen „Berg-Kraxler“, der gerne anspruchsvollere Steige mit leichten Kletterstellen geht, gibt es einige Ausdauer-Schmankerl! Auch durch die bis zu 1000m hohen Nordwände des Hochtors führen Touren in den unteren Schwierigkeitsgraden! Die Parade-Tour ist mit Sicherheit die „Gesäuse-Überschreitung“, die in etwa 10 bis 12 Stunden über die gesamte Hochtor-Gruppe führt. Meist hoch oben am Grat und im 1.-2. Schwierigkeitsgrad, stellenweise sogar im 3. Grad. Wer es etwas weniger fordernd möchte, für den empfehlen wir folgende Touren, die wir auf unseren Tourenseiten weiter beschrieben haben:

 

Auch durch diese abweisenden Gemäuer finden sich lange und schöne Kletterrouten für Einsteiger – Kondition und alpines Gespür vorausgesetzt!

Das Gesäuse hat neben seiner wilden Seite auch seine Genuss-Seite. Nämlich vor allem dann, wenn es um die Felsqualität geht! Unter Kletterern ist die Festigkeit und Schönheit des Gesteins wohlbekannt. Wände wie die Ödstein-Südwand, Festkogel-Südwand oder die Planspitze-Nordwestwand glänzen mit fabelhafter Felsstruktur, die höchsten Klettergenuss ermöglichen. Nein, man muss nicht ins Verdon oder an den Gardasee fahren, um schönen Fels zu klettern, das geht auch im Gesäuse im allerhöchsten Maß. Und das schöne daran ist: die Touren sind fast nie überlaufen, sehr oft ist man hier sogar alleine in der Wand.

Für KönnerInnen des 5. und 6. Grades gibt es hier eine riesige Auswahl an Kletterrouten durch Traumfels. Doch Achtung: manche Touren fordern ziemlich viel Moral, nur wenige Touren sind Plaisir-mäßig eingebohrt. Bohrhaken-Abstände wie im Klettergarten darf man sich hier nirgends erwarten. Wer Moral und Kletterkönnen mitbringt (oder einen Vorsteiger, der beides besitzt), wird schnell Gefallen am Klettern in den kompakten Platten und gutgriffigen Wänden finden!

Hier ist unsere Auswahl an Genusstouren im 5. und 6. Schwierigkeitsgrad:

Diese Liste ließe sich fast endlos fortsetzen, mit Touren wie der „König Löwenherz“ am Großen Buchstein oder dem „Plattenspieler“ in der Festkogel-Südwand.

Große Pleite, Dachl-Nordwand

Und schließlich gibt es hier auch die großen, langen Touren in den wilden Wänden des Gesäuses. Sie sind den absoluten Könnern vorbehalten. Touren wie die „Ödsteinkante“, die Dachl-Nordwand oder die Rosskuppenkante sind alpenweit bekannt und stellen für Alpinisten immer noch zu begehrte Ziele dar. Neben ihnen gibt es mittlerweile eine Vielzahl an schweren und extremen Touren – die Entwicklung des Kletterns macht auch vor den großen Wänden nicht Halt. So hat Mich Kemeter mit dem „Weg durch Hedis Kaiserschmarrn“ in der Dachl Nordwand eine der schwersten Alpinrouten den Alpen erschlossen – wenn nicht sogar die schwerste.

 

HARD FACTS

Das wichtigste kurz und bündig

Das Gesäuse ist ein Gebirgstock in den Ennstaler Alpen, gelegen im Bezirk Liezen in der Obersteiermark zwischen Admont und Hieflau. Die wichtigsten Gipfel für Kletterer sind: Hochtor (2369m), der Große Ödstein (2335m), Festkogel (2269), Planspitze (2117m) und der Große Buchstein (2224m).

Als Unterkünfte empfehlen sich: Die Haindlkarhütte, das Buchsteinhaus, der Campingplatz Gstatterboden oder einer der gutbürgerlichen Gasthöfe in Johnsbach oder Admont (unser Tipp: Kölblwirt in Johnsbach!).

Die beste Zeit: Für Südwände April-Juni, September-Oktober; für Norwände: Juni-September. Achtung: Oft gibt es bis weit in den Juni hinein Altschneefelder, wie z.B. am Festkogel.

Führerliteratur: Kletterführer Gesäuse. Klettern in den Ennstaler Alpen. Jürgen Reinmüller & Andi Hollinger, 2021

Unser Tipp: Zustiege und Wegfindung sind oft nicht ganz leicht! Auch die Absicherung entspricht nicht dem Standard vieler Klettergebiete der Voralpen. Bist du neu in diesem Gebiet, vertrau dich besser beim ersten Mal einem Bergführer an – wir führen dich gerne sicher und genussvoll durch deine Traumroute und zeigen dir das Gesäuse!

Keep in mind: Es handelt sich um einen Nationalpark! Das Verlassen ausgewiesener Wege und Steige ist nicht erlaubt. Ebenso ist das Baden in der Enns nur an den dafür ausgewiesenen Stränden erlaubt. Die Natur wird es dir danken, wenn sie sich ungestört von deiner Anwesenheit entwickeln darf!