Klettern im Gesäuse

Die mächtigen Gesäuse Norwände mit der Rosskuppenkante in der Bildmitte

Das Gesäuse ist längst kein Geheimtipp mehr. Im Osten Österreichs hat es schon lange seinen Platz in den alpinen Köpfen, seit ein paar Jahren weitet sich sein Ruf als „wilde Perle des Ostens“ auch über die Landesgrenzen hinaus aus. Folgt man der Enns von Liezen ostwärts, fährt man vorbei an grünen Hügeln, die Felsberge verschwinden und man hat das Gefühl, als würde man bald den Rand der Alpen erreichen. Doch erreicht man das verschlafene Nest Ardning, erblickt man plötzlich ein wildes Felsgerippe in der Ferne. Es sticht aus den grünen Hügeln heraus und strotzt nur so vor Wildheit und Schönheit. Kein Kletterer kann sich diesem Anblick entziehen. Man sieht sofort: Hier haben sich die Alpen noch einmal ein paar ordentlichen Juwelen geschmückt.

Wenn es ums Klettern geht, hat das Gesäuse eine sehr lange Geschichte. Mit Klettern ist hier immer das Alpinklettern gemeint. Sportklettern kann man im Gesäuse zwar auch, aber im Vergleich zu dem, was es an alpinem zu bieten hat, ist das Sportklettern Nebenschauplatz. Die frühen Erschließer-Jahre im Gesäuse waren geprägt von Heldentaten, kühnen Seilschaften aber auch zahlreichen Tragödien. Das Gesäuse ist kein Kindergarten – das war es nie, und ist es auch jetzt, trotz moderner Ausrüstung und vielen Bohrhaken nicht.

Woher das Gesäuse seinen wilden Ruf hat erschließt sich recht schnell, wenn man einmal inmitten der Gesäuse-Nordwände steht. In fast allen Fällen sind die Wände hoch, die Zustiege lang und die Abstiege noch länger. Des einem Leid, des anderen Freud. Die meisten Touren muss man sich verdienen – es gibt kaum Mautstraßen und überhaupt keine Seilbahnen. Und spätestens seit dem Erhalt des Nationalpark-Status wissen wir, dass das auch so bleibt. Und das ist gut so! Denn wenn man nach einem langen Klettertag im Gastgarten des Kölblwirtes oder der Haindlkarhütte sitzt, geht die Seele fast über vor Erlebtem.

Alpinklettern mit Animont

Mit der neuen „Gesäuse-Bibel“, die Andi Hollinger und Jürgen Reinmüller letztes Jahr veröffentlicht haben, gibt es eine top-aktuelle Überschau über die Routenauswahl im Gesäuse. Und die ist riesig! Über 1000 Kletterrouten ziehen durch die Felswände des Gesäuses. Da stellt sich für den Gebiets-Neuling die Frage: wo fängt man an?

Wie immer kommt es darauf an, was man will und was man kann. Für völlige Kletter-Neulinge ist die Auswahl recht gering, da empfiehlt sich am ehesten noch der Admonter Kaibling. Der ist am leichtesten erreichbar und wartet mit einigen Routen im 4. und 5. Schwierigkeitsgrad auf. Aber der Kaibling ist nicht das richtige Gesäuse! Das erlebt man, wenn man an der Hochtorgruppe oder dem Buchstein klettert. Und da wirds – vor allem konditionell – schnell recht anspruchsvoll.

Für konditionell fitte Einsteiger im Klettern, oder den für Österreich recht typischen „Berg-Kraxler“, der gerne anspruchsvollere Steige mit leichten Kletterstellen geht, gibt es einige Ausdauer-Schmankerl! Auch durch die bis zu 1000m hohen Nordwände des Hochtors führen Touren in den unteren Schwierigkeitsgraden! Die Parade-Tour ist mit Sicherheit die „Gesäuse-Überschreitung“, die in etwa 10 bis 12 Stunden über die gesamte Hochtor-Gruppe führt. Meist hoch oben am Grat und im 1.-2. Schwierigkeitsgrad, stellenweise sogar im 3. Grad. Wer es etwas weniger fordernd möchte, für den empfehlen wir folgende Touren, die wir auf unseren Tourenseiten weiter beschrieben haben:

 

Auch durch diese abweisenden Gemäuer finden sich lange und schöne Kletterrouten für Einsteiger – Kondition und alpines Gespür vorausgesetzt!

Das Gesäuse hat neben seiner wilden Seite auch seine Genuss-Seite. Nämlich vor allem dann, wenn es um die Felsqualität geht! Unter Kletterern ist die Festigkeit und Schönheit des Gesteins wohlbekannt. Wände wie die Ödstein-Südwand, Festkogel-Südwand oder die Planspitze-Nordwestwand glänzen mit fabelhafter Felsstruktur, die höchsten Klettergenuss ermöglichen. Nein, man muss nicht ins Verdon oder an den Gardasee fahren, um schönen Fels zu klettern, das geht auch im Gesäuse im allerhöchsten Maß. Und das schöne daran ist: die Touren sind fast nie überlaufen, sehr oft ist man hier sogar alleine in der Wand.

Für KönnerInnen des 5. und 6. Grades gibt es hier eine riesige Auswahl an Kletterrouten durch Traumfels. Doch Achtung: manche Touren fordern ziemlich viel Moral, nur wenige Touren sind Plaisir-mäßig eingebohrt. Bohrhaken-Abstände wie im Klettergarten darf man sich hier nirgends erwarten. Wer Moral und Kletterkönnen mitbringt (oder einen Vorsteiger, der beides besitzt), wird schnell Gefallen am Klettern in den kompakten Platten und gutgriffigen Wänden finden!

Hier ist unsere Auswahl an Genusstouren im 5. und 6. Schwierigkeitsgrad:

Diese Liste ließe sich fast endlos fortsetzen, mit Touren wie der „König Löwenherz“ am Großen Buchstein oder dem „Plattenspieler“ in der Festkogel-Südwand.

Große Pleite, Dachl-Nordwand

Und schließlich gibt es hier auch die großen, langen Touren in den wilden Wänden des Gesäuses. Sie sind den absoluten Könnern vorbehalten. Touren wie die „Ödsteinkante“, die Dachl-Nordwand oder die Rosskuppenkante sind alpenweit bekannt und stellen für Alpinisten immer noch zu begehrte Ziele dar. Neben ihnen gibt es mittlerweile eine Vielzahl an schweren und extremen Touren – die Entwicklung des Kletterns macht auch vor den großen Wänden nicht Halt. So hat Mich Kemeter mit dem „Weg durch Hedis Kaiserschmarrn“ in der Dachl Nordwand eine der schwersten Alpinrouten den Alpen erschlossen – wenn nicht sogar die schwerste.

 

HARD FACTS

Das wichtigste kurz und bündig

Das Gesäuse ist ein Gebirgstock in den Ennstaler Alpen, gelegen im Bezirk Liezen in der Obersteiermark zwischen Admont und Hieflau. Die wichtigsten Gipfel für Kletterer sind: Hochtor (2369m), der Große Ödstein (2335m), Festkogel (2269), Planspitze (2117m) und der Große Buchstein (2224m).

Als Unterkünfte empfehlen sich: Die Haindlkarhütte, das Buchsteinhaus, der Campingplatz Gstatterboden oder einer der gutbürgerlichen Gasthöfe in Johnsbach oder Admont (unser Tipp: Kölblwirt in Johnsbach!).

Die beste Zeit: Für Südwände April-Juni, September-Oktober; für Norwände: Juni-September. Achtung: Oft gibt es bis weit in den Juni hinein Altschneefelder, wie z.B. am Festkogel.

Führerliteratur: Kletterführer Gesäuse. Klettern in den Ennstaler Alpen. Jürgen Reinmüller & Andi Hollinger, 2021

Unser Tipp: Zustiege und Wegfindung sind oft nicht ganz leicht! Auch die Absicherung entspricht nicht dem Standard vieler Klettergebiete der Voralpen. Bist du neu in diesem Gebiet, vertrau dich besser beim ersten Mal einem Bergführer an – wir führen dich gerne sicher und genussvoll durch deine Traumroute und zeigen dir das Gesäuse!

Keep in mind: Es handelt sich um einen Nationalpark! Das Verlassen ausgewiesener Wege und Steige ist nicht erlaubt. Ebenso ist das Baden in der Enns nur an den dafür ausgewiesenen Stränden erlaubt. Die Natur wird es dir danken, wenn sie sich ungestört von deiner Anwesenheit entwickeln darf!

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Tourenbericht „Dent Blanche und Aiguille de la Tsa“

Dent de Tsalion Westgrat

von Oliver

Es gibt Leute, die ständig auf der Suche nach der idealen Lösung sind. Tüftler könnte man sie nennen. Manche sind es aus freiem Willen, andere, weil sie die unvollkommene Realität nicht hinnehmen können. Als ich vor vielen Jahren das erste Mal auf die Dent Blanche ging war ich begeistert von dieser wunderschönen Tour. Aber ich wollte nicht akzeptieren, dass es diese Tour nur mit elends-langem Hüttenzustieg, ohne eine logische Kombination mit einem anderen Gipfel geben sollte.

Einige Jahre später startete das Tüfteln. Ich wollte es nicht glauben, dass es da keine Tourenkombination gibt und wühlte mich durch Karten, Tourenberichte und Führerliteratur. Der Abstieg zur Schönbielhütte kam jedenfalls nicht mehr in Frage. Zu oft hatte ich schon davon gehört – aber nie etwas Gutes. Was wäre mit der anderen Seite? Da sah ich sie. Ein edler Kletterberg, einladend und ideal als Vorbereitungstour: Die Aiguille de la Tsa. Formschön, elegant und nur wenigen bekannt. Nur: auf der anderen Seite des Tales, dazwischen ein riesiger Gletscher mit vielen Fragezeichen.

Wenn man gerne tüftelt und ausgefallene Wege sucht, gibt es am Ende oft 2 Optionen, warum man auf einen Weg oder eine Route stößt, die offensichtlich kaum jemand geht: Entweder (1.) bin ich einer der wenigen, der sich überhaupt die Mühe antut und nach einem Alternativ-Anstieg sucht, oder (2.) bin ich einer der wenigen, der nicht weiß, dass dieser Weg unlohnend/mühsam/nicht mehr begehbar/gefährlich/nicht mehr existent ist. Noch interessanter wird es, wenn die ins Auge gefasste Linie eine dazu recht offensichtliche ist.

Das ist der Punkt, an dem sich die Spreu vom Weizen trennt. Während vernunftsgetriebene Menschen eher der Erfahrung anderer trauen, sich einmal die Normalroute anschauen und dann vielleicht sich vorsichtig herantasten, bedarf eines besonderen Charakterzuges, wenn man sich dafür entscheidet All-in zu gehen und sein Genie auf Wahnsinn zu überprüfen. Das ist auch der Punkt, wo der*die Leser*in selbst entscheiden darf, welchen Weg der Autor dieser Zeilen ging, um seine Tourenkreation „Aiguille de la Tsa und Dent Blanche – Walliser Berggenuss abseits der Massen“ in die Tat umzusetzen.

 

Es war ein heißer Nachmittag im Juli, als ich mich mit Jörg in Les Hauderes, einem schmucken kleinen Bergdorf im schweizerischen Wallis, traf. Nach langen Wochen des unsicheren Wetters lagen nun endlich ein paar Tage stabilen Hochdruck-Sommerwetters vor uns. Perfekt! Obwohl Luftlinie nur 20 km von Zermatt entfernt, ist man hier eindeutig NICHT in Zermatt. Kaum Touristen, nur Seilbahnen im Mini-Format und keine Parkgebühren. Und genau deshalb waren wir hier. Jörg ist wie ich ein Liebhaber besonderer Tourenkreationen abseits des Mainstreams. Davon durfte ich mich bei unserer gemeinsamen Tour auf das Schreckhorn vor einigen Jahren selbst überzeugen. Darum hatte ich auch Jörg auserkoren und überzeugt, diese neue Tourenkreation mit mir auszuprobieren. Also fuhren wir gemeinsam nach Arolla und stiegen zur Cabane Tsa auf. Schon bei der Autofahrt nach Arolla sticht einem der edle Felszahn ins Auge – ein Berg, bei dem sich der Ausruck „unbezwingbar“ irgendwie aufdrängt. Auch die Cabane Tsa bestätigte unseren Eindruck, dass der Hase hier anders läuft. Am sundowner-spot par excellence gelegen eignet sich die Hütte perfekt zum Ankommen, Abschalten und Staunen. Außer uns waren nur 4 weitere Personen auf der Hütte. Auf die Frage, ob denn viele Leute von hier auf die Aiguille de la Tsa gehen, bekam ich die beste aller Antworten: „fast niemand. Nur ein paar einheimische Bergführer, sonst kennt das hier niemand…“. Yesssss.

Zustieg zur Cabane Tsa mit Ausblick auf Aiguille de la Tsa und Dent de Tsalion

Am nächsten Morgen starteten wir im ersten Tageslicht. Nach etwa einer Stunde standen wir am Beginn des Westgrates des Dent de Tsalion. Dunkel und abweisend ragte die wilde Westflanke über uns. Über den vor uns aufragenden Westgrat konnte ich in der Führerliteratur nicht viel finden. In einem alten AV-Führer las ich vom „schönsten Felsgrat im Arollatal“ und einer logischen Linie. Mehr an Überzeugung bedurfte es nicht. Schon die ersten Meter am Grat überzeugten uns: fester, kletterfreundlicher Fels!

Im ersten Drittel hält man sich eher links vom Grat, klettert dort einige Aufschwünge, wobei dort schon der obere 3./untere 4. Grad gefordert wird – mit den steifen Bergschuhe gar nicht so einfach! Sobald man wieder auf die Gratkante kommt erreicht man cruising-Gelände. Und auf cruising mode schalteten wir dann auch – schließlich hatten wir noch einiges vor uns. So kletterten wir viel am laufenden Seil, denn die Wegfindung war hier einfach und die Kletterei meist irgendwo im 2. Und 3. Grad. Hoch über uns ragte die Aiguille de la Tsa in den Himmel – ihre Westwand abweisend und steil. Doch schön langsam kamen wir in Richtung ihrer Augenhöhe. Doch nicht zu früh gefreut: im oberen Drittel warten die Schlüssellängen. Der Grat wird hier immer schmäler und geschlossener, sodass man hier auf etwa 30m Länge eine plattige Gratkante im 4. Grad überwinden muss. Wer des 4. Grades nicht absolut mächtig ist wird sich hier über Kletterschuhe freuen. Hier stecken auch die einzigen Bohrhaken, die wir in der Tour fanden. Ansonsten war selber absichern angesagt – was aber mit einem Satz Friends und vielen Köpfelschlingen leicht ging. Ganz zum Schluss steilte sich der Grat noch einmal auf, bis wir spektakulär den Gipfel des Dent de Tsalion auf 3589m erreichten. Und von dort sahen wir sie endlich: die Dent Blanche! Mächtig stand der weiße Zahn am anderen Ende des Tales. Weit weg und ziemlich wild sah er aus! Beim Blick auf die Uhr erklärte sich schließlich auch das Brennen in unseren Oberschenkeln. In nur 3 Stunden hat mich Jörg über den fast 1000m langen Grat hinaufgetrieben. Das ist einmal richtig gut gelaufen und hat Lust auf mehr gemacht!

Dent de Tsalion Westgrat, kurz vor dem Gipfel. Im Hintergrund die Aiguille de la Tsa

Vom Dent de Tsalion stiegen wir ein kurzes Stück nach Süden ab und querten dort über Schnee und Gletscher-Reste (Achtung Spalten!) unter die Ostwand der Aiguille de la Tsa. Hier waren schon 2 Seilschaften am Werk, die wir ziemlich schnell eingeholt hatten. Die Kletterei hier war wahrlich das Sahnehäubchen dieses Tages! Der Fels war kompakt und gutgriffig, die Kletterei steil und die Sonne wärmte uns angenehm. So war es eine wahre Freude, als wir nur 1 Stunde nach Verlassen des Dent de Tsalion auf der Aiguille de la Tsa standen. Wahnsinnig ausgesetzt und mit einem super Panorama genossen wir die Momente auf dem schmalen Gipfel.

3 Abseiler später (ideal mit 50m-Seil) standen wir wieder am Glacier de l’Aiguille, über den wir in Richtung Cabane Bertol abstiegen. Etwas westlich des P. 3373 stiegen wir am Pointe de Bertol vorbei. Dahinter mussten wir über etwas unangenehme, teils seilversicherte steile Fels- und Geröllhänge absteigen, den nächsten Gletscher queren und schließlich über steile Leitern zur Cabane Bertol (3311m) aufsteigen.

Der Anfang war also geschafft und das Grinsen in Jörgs Gesicht ließ mich erahnen, dass die „Aufwärmrunde“ erfolgreich geglückt war.

Gipfelfreude auf der Aiguille de la Tsa

Am nächsten Morgen wartete schon das nächste Fragezeichen auf uns: Die Überquerung der Riesengletscher Glacier du Mont Mine und Glacier de Ferpecle. Der erste Teil sollte kein Problem darstellen, da hier auch die Sommer-Haute-Route (ja das machen Leute wirklich!) entlanggeht. Über den zweiten Teil wusste ich wenig. Um die Etappe etwas zu „würzen“ entschieden wir uns, quasi im Vorbeigehen die Dents de Bertol zu überschreiten. Am Vorabend hatte uns ein einheimischer Bergführer von dieser Tour erzählt und sie empfohlen. Was wir vorfanden war allerdings kaum empfehlenswert, sondern nur loser Schutt und Bruch, weshalb wir wieder umkehrten und den jetzt umso entspannteren Gletscherweg einschlugen. Über endlos scheinende Schneewelten stiegen wir auf die Tete Blanche. Auch wenn dieser Schneedom technisch leicht ist, ist er trotzdem ein super Aussichtsgipfel inmitten der Walliser 4000er. Bis jetzt war der Weg sehr entspannt gewesen, jetzt stieg die Aufregung in mir. Während die Haute-Route-Geher*innen von hier nach Zermatt abstiegen, wollten wir zur Cabane de la Dent Blanche. Ich wusste, dass gleich hinter der Tete Blanche ein gemeiner Gletscherbruch auf uns wartete. Da die Sonne den Schnee hier bereits aufgeweicht hatte, war also höchste Vorsicht geboten. Doch der befürchtete Gletscherbruch entpuppte sich als Spaltenzone, auf der noch recht viel Schnee lang und durch die wir einen guten Durchschlupf fanden. Jetzt war der Weg frei und so marschierten wir genüsslich zur Cabane de la Dent Blanche (3507m).

Dort empfing uns der nette Hüttenwart Marcel. Auch wenn hier wahrscheinlich nie wirklich viel los ist war heuer doch besonders wenig Betrieb. Aufgrund der strengen Schweizer COVID-19 Regeln durften maximal 18 Personen auf der Hütte übernachten – für uns ein Traum, für Marcel eine schwierige Zeit. Nach dem Abendessen gab uns Marcel noch Tipps zur Tour, danach war bald Zeit fürs Bett.

Am Gipfel der Tete Blanche

Mit etwa 15 weiteren Gipfel-Aspiranten starteten wir am nächsten Morgen Richtung Gipfel. Viel Zeit zum Aufwärmen gibt’s am Dent Blanche nicht, denn die Kletterei startet gleich hinter der Hütte. Spätestens nach dem ersten Aufschwung ist man wach. Noch im Dunkeln geht es über ein Schnee- und Eisfeld, danach über steiles Blockgelände hinauf. Im ersten Morgenlicht querten wir einen steilen Gletscherhang, bei dem sauberes Steigen mit den Steigeisen angesagt war. Dann ging die Kletterei richtig los. Am Fuße des großen Gendarmen angekommen entschieden wir uns für die leichtere, linke Umgehungsvariante. Denn leider schien uns das Wetter heute nicht ganz wohlgesonnen zu sein. Der Gipfel steckte in einer dicken Wolkenhaube und je höher wir kletterten desto tiefer drangen wir in diese Haube ein. Es wurde kälter und windiger. Und die Kletterei wurde nun schwieriger, das Ambiente richtig alpin und ausgesetzt. Einige Längen ging es steil im 3. Grad aufwärts – bei dem Wind und mit Handschuhen eine echte Herausforderung, die Jörg tapfer meisterte. Zum Glück war zumindest der Fels trocken und wir konnten ohne Steigeisen klettern. Auch wenn der Fels gutgriffig und schön war kam bei diesen Bedingungen kein bisschen Plaisir-Feeling auf. Für den letzten Abschnitt zogen wir noch einmal die Steigeisen an und freuten uns, dass die Schwierigkeiten nun nachließen. Ganz im Gegensatz zum Wind! Der tobte sich richtig aus! Immer wieder zeigte sich der blaue Himmel über uns und wir konnten die benachbarten Gipfel erahnen, aber die Wolken wollten sich einfach nicht auflösen. Ein gemeines Spiel! Als wir schließlich den Gipfel erreichten tat dies der Freude keinen Abbruch. Juchee, wir standen auf dem Gipfel der Dent Blanche, 4357m über dem Meer. Wir zogen uns warme Jacken an und freuten uns mit den anderen Seilschaften, die sich mit uns gemeinsam auf den Gipfel gekämpft haben. Der Gipfel der Dent Blanche ist ein besonderer. Davon zeugt auch eines der seltenen Schweizer Gipfelkreuze, das sehr schön mit Seilen und Pickel geschmückt ist.

Allzu lange hielten wir uns dort trotzdem nicht auf, wir mussten schließlich wieder hinunter. Und dies taten wir über den gleichen Weg, den wir heraufgekommen waren. Der Wind hatte hier über Nacht die Felsen mit unwirklich erscheinenden Formationen aus Anraum überzogen. Wir waren froh über unsere Steigeisen! Zum Glück ließ auch der Wind nach, je weiter wir abstiegen und als wir über die Schlüsselstellen abstiegen und abseilten kam sogar die Sonne heraus. Der Gipfel zierte sich, er hielt sich noch den ganzen Tag bedeckt. Am Ende der größten Schwierigkeiten machten wir noch eine ordentliche Pause und genossen die wunderbare Aussicht auf das Matterhorn, das Monte Rosa Massiv und die restlichen Walliser Berg-Berühmtheiten. Auch zur Aiguille de la Tsa schweifte der Blick, dessen schlanke Gipfelnadel in diesem pompösen Konzert fast unterging.

An der Hütte angekommen ließ alle Anspannung nach und wir gönnten uns ein wunderbares, frisches Bier auf der Sonnenterasse. Wir begrüßten die ankommenden Gipfelaspiranten für den nächsten Tag und erfreuten uns an unserem heutigen Gipfelerfolg.

Am Dent Blanche Südgrat

Was macht die Dent Blanche so besonders? Sicherlich die Einsamkeit dieses Berges. Weit weg vom Massentourismus, hoch über dem ruhigen, sympathischen Val d’Herens gelegen. Mit Sicherheit auch die coole Kletterei in wirklich schönem Fels. Vielleicht auch die Tatsache, dass der Gipfeltag zwar lang, aber mit seinen 850 Höhenmetern doch überschaubar ist. Und wahrscheinlich auch die Tatsache, dass sie eine versteckte Perle, ein „Underdog“ unter den Walliser 4000ern ist, aber ein wunderbares Tourenerlebnis.

 

So stiegen wir am nächsten Tag in der kühlen Morgenluft dem Tal entgegen. Wir machten die volle Reise aus dem Eis in die Zivilisation. Quasi aus der Arktis nach Mitteleurope. über Gletscher, Geröllhänge und Schutt, hin zu den ersten lückigen Flecken Pioniervegetation, die sich schließlich zu saftigen alpinen Matten verdichten. Weiter hinunter werden die Gräser und Kräuter immer mehr, immer höherwüchsiger und üppiger. Schließlich tauchen die ersten Erlen-Sträucher auf, bald darauf erste Zirben und Lärchen, bis wir im Tal durch offene Fichten-Lärchen-Zirben-Wälder und über Kuhweiden nach Ferpecle spazieren.

Eisige Gipfelfreude auf der Dent Blanche

So fand eine außergewöhnliche Tourenwoche ihr Ende. Wir hatten enormes Glück mit dem Wetter und den Verhältnissen und meine Tourenkreation war voll aufgegangen. Und das wichtigste: Wir waren gesund und glücklich wieder im Tal angekommen.

Der kritische Leser mag sich jetzt denken: Eh klar, dass der seine Tour in einem guten Licht darstellen will. Wer weiß wie’s wirklich war? Darum habe ich Jörg um ein paar Zeilen Feedback gebeten, die ich kommentarlos und unverändert teilen möchte:

„Die Beschreibung „Walliser Berggenuss abseits der Massen“ weckt natürlich Erwartungen. Erwartungen, die dann auf unserer Runde absolut erfüllt wurden. Die Tour führte durch sehr abwechslungsreiche und beeindruckende Landschaften und bot dabei immer wieder fantastische Ausblicke. Konditionell und technisch durchaus fordernd, dabei aber jederzeit stressfrei, war die Zeit am Berg äußerst abwechslungsreich und spannend. Zirbenwald und liebliche Almwiesen zu Beginn und am Schluss, dazwischen schöner fester Fels und weite beeindruckende Gletscherflächen gepaart mit zwei formschönen Berggestalten abseits des Trubels, dazu urgemütliche Hütten in toller Lage.

Was will man mehr, wenn man die Seele des Bergsteigens erleben will.

Fazit: Echter Berggenuss und in in jeder Hinsicht eine runde Sache.“

Wer jetzt neugierig geworden ist – hier gehts zum Tourenangebot

Danke Jörg für dein Vertrauen und deine Motivation und herzliche Gratulation, dass du diese Tour so bravourös gemeistert hast!

„Morgenluft“, Ödsteinkarturm und „10 nach 5“, Hoher Dachstein

von Oliver

Lang ist’s her, dass ich mit meinem guten Freund und Kletterpartner Chri richtig ausgerückt bin. In unserer alpinen Sturm-und-Drang-Phase kletterten wir gemeinsam unsere ersten schweren Touren im Gesäuse, verliebten uns in die Hochgolling-Nordwand und machten unseren ersten Trip in die Westalpen. Vor ein paar Monaten vereinbarten wir, quasi auf gute alte Zeiten uns wieder einmal Zeit für gemeinsame Klettertouren zu nehmen und so kams, dass wir Ende September bei perfektem Bergwetter wieder gemeinsam in die Berge zogen.

Als „Aufwärmtour“ wählten wir die recht neue und uns noch unbekannte Tour „Morgenluft“ in der Ödsteinkarturm-Westwand aus. Doch aufwärmen ist relativ, denn alleine der Weg zu dieser Wand hat es in sich. Zuerst mussten wir den steilen und mühsamen Weg in das wilde Ödsteinkar hinter uns bringen. Jedes Mal ein Erlebnis für sich. Wir mussten schmunzelnd zurückdenken an die Zeit, als wir vor fast 10 Jahren die Direkte Ödsteinkante kletterten – und uns dabei mehr fürchteten als uns lieb war. Mittlerweile waren wir auch alpinistisch zum Glück schon etwas reifer – beide Bergführer und um hunderte Klettertouren erfahrener.

Um zur „Morgenluft“ zu gelangen, muss man über die 8 SL-Tour „Kaminwurz“ zusteigen, die Kletterei bis zum 6. Grad in leider nicht immer gutem Fels fordert. Vor allem die erste Länge war schauderlich brüchig – dafür aber perfekt abgesichert! Ist man einmal beim Start der Morgenluft, hat man das gröbste geschafft und der Genuss kann beginnen. Die beiden Xeisler Mario Strimitzer und Mario Jauk haben eine wunderschöne Linie durch perfekten Fels gezogen. Die Tour ist super abgesichert, damit gabs plaisir pur in der wilden Kulisse des Ödsteinkars. Vor allem die letzten Längen boten traumhafte Kletterei.

Am Ausstieg angekommen war die Tour aber lange noch nicht vorbei. Wir mussten zuerst noch ausgesetzt über den Ödsteinkarturm (oder leicht nordöstlich davon) zum Festkogel klettern und von diesem schließlich ca. 1500 Höhenmeter zum ersehnten Bier beim Kölbl absteigen.

Da wir jetzt wahrlich gut eingeklettert waren, wählten wir für den nächsten Tag die Dachstein Südwand aus. Lang hatten wir vom Megaklassiker „10 nach 5“ geträumt, jetzt schnappten wir sie uns. Früh fuhren wir also in die Ramsau, um bei Tagesanbruch den Zustieg zur Südwand zu starten. Mit einem lauten Juchizer begrüßten wir unsere Freunde Roman und Michi, die im „Gichtloch“ in der Südwand schliefen und an der Südwand-Direttissima arbeiteten. Durch die riesigen Randklüfte am Übergang zu Fels wurde das letzte Stück des Zustiegs schon zu einer echten Challenge. Da ist definitiv Kreativität und Vorsicht gefordert.

Die Tour „10 nach 5“ ist ein absolutes Gustostückerl und eine der besten Alpintouren, die ich kenne. Wir hatten Glück, dass die gesamte Tour trocken war und so konnten wir die traumhaften und rauen Seillängen vollends genießen. Die Felsqualität ist fast durchgehend absolut erstklassig! Die anhahltenden Schwierigkeiten und die moderate Absicherung fordern einen soliden, starken Alpinkletterer, aber wenn man die Schwierigkeiten im Griff hat und die zahlreichen guten Placements für Friends und Keile findet ist die Tour ein absoluter Genuss. Für die Absicherung reichte uns ein Satz Cams von 0,3 bis 3, 8 Expressen und ein paar Sanduhrschlingen völlig aus.

Die Routenfindung ist im unteren Teil noch recht leicht, das obere Drittel ist etwas schwieriger. Vor allem die Schlüsselstelle im oberen Drittel ist nicht leicht zu finden, da sehr viele alte Haken in der Wand verstreut stecken und davor einige verwirrende Zwischenstände Verwirrung stifteten. Auch uns kostete dieser Teil etwas Zeit, da die wenigen Haken der richtigen Linie etwas versteckt sind. Nach unserer Ansicht ist die Stelle im neuen Schall-Führer „Kletterarena Dachstein West & Süd“ am besten dargestellt, besser als im Longlines-Topo. Danach war der Weg zum Gipfel frei und wir konnten die letzten Seillängen durch brutal scharfen Fels, aber mit genialen Kletterstellen nach oben ziehen. Zum Schluss machten sich auch die gestrigen Klettermeter bemerkbar, sodass wir um ca. halb 5 am Gipfel ausstiegen.

Viel Zeit war also nicht mehr wenn wir die letzte Gondel um 10 nach 5 (ja, deshalb der Tourenname) erwischen wollten. Also schnell zusammengepackt, ein Gipfelfoto gemacht und auf ging’s Richtung Gondel. Die Hoffnung auf die letzte Gondel gab uns nochmal ordentlich Schub, sodass wir 31 Minuten nach Verlassen des Gipfels bei der Gondelstation waren. Dass dabei ein Paar Kletterschuhe am Gipfel liegen blieben merkten wir erst später…

Nun war endlich Zeit, die erlebten Touren ordentlich zu feiern. Und an solchen Tagen schmeckt’s am besten 😉

Gewaltig war’s, danke Chri für die super Tourentage!

„Weißenbacher Weg“ (300m, 8+/9-) – Planspitze Nordwestgrat-Pfeiler (Gesäuse)

Einstiegstaferl

von Oliver

Hat man als Kletterer im Jahre 2019 das Ziel, eine Erstbegehung an einer schönen Felswand in Österreich zu machen, steht man definitiv vor einer schweren Aufgabe. Die tief hängenden Früchte wurden zweifellos von den vorherigen Generationen gepflückt, die offensichtlichen Linien an den schönen, großen Wänden wurden längst gemacht. Man braucht also eine Portion Glück, eine gute Gebietskenntnis und eine Menge Kreativität und Motivation um eine noch jungfräuliche, lohnende Linie zu finden.

Der Planspitz-Nordwestgratpfeiler – wo soll denn der bitte sein? Die meisten Gesäuse Kletterer kennen ihn trotzdem und sind vermutlich schon des öfteren daran vorbei gegangen, aber mit anderen Zielen im Kopf. Auch ich bin oft daran vorbeigegangen, am Zustieg zu den schönen Touren der Planspitze-Nordwest-Wand. Dort ist sie die erste Wand die man erblickt, wenn man endlich aus dem mühsamen Höllersteig herauskommt und vor den ersten Felsen steht. Ich begann vorsichtig herumzufragen, ob eigentlich Touren durch diese abweisende Wand führen, doch niemand wusste von etwas. Die linke Kante wurde des Pfeilers wurde von Hoi/Almberger durchstiegen, die Wand schien aber noch unberührt zu sein. Sollte das möglich sein?

Im Sommer 2019 war es dann so weit. Mit Tom Stanzinger fand ich einen motivierten Mitstreiter und so stiegen wir mit schweren Rucksäcken über den mühsamen Höllersteig unter die Wand. Sie sah definitiv steiler aus, als ich sie in Erinnerung hatte. Abweisend! Vor allem der Dachriegel im unteren Wandbereich sah knackig aus und die logischen Linien, die den Einstieg in die steilen Platten der Wand ermöglichen ließen sich an einem Finger abzählen. Der Weg war also klar.

Voll motiviert startete ich also in die erste Länge, den vermeintlichen „Zustieg“ zur Dachzone. Die Länge hatte es gleich ziemlich in sich, der Fels erwies sich vor allem in den ersten Metern als nicht ganz vertrauenserweckend. Also lieber mal einen Bohrhaken setzen, das gibt definitiv Mut. Eine schöne, im Urzustand doch noch recht botanisch interessante Verschneidung führt schließlich zum ersten Stand. Dann war Tom an der Reihe, der einen Quergang der Marke „Nid schwa owa bled“ hinter sich brachte und in einer Nische Stand machte. Nun war die steile Verschneidung an der Reihe. Mit viel Einsatz und Kraftaufwand kämpfte ich mich höher, bis es mich aus der brüchiger werdenden Verschneidung in die schöne steile Wand daneben drängte. Ich brauchte einige Versuche und Stürze um die Sequenz zu entschlüsseln, bis ich endlich wieder eine Sicherung anbrachte. Eine letzte, kraftraubende Piazverschneidung brachte mich auf das heißersehnte Podest, auf dem ich Stand machte. Ab nun sollte es leichter werden. Dachten wir jedenfalls. Ein wenig leichter wurde es auch, aber die Wand zeigte sich immer noch steiler als gedacht, wenngleich der Fels nun etwas kletterfreundlicher wurde. Die Sonne war mittlerweile schon um die Ecke gekommen und die Haken waren aufgebraucht – wir mussten also ein anderes Mal weiter machen. Sehr erschöpft, aber voller Vorfreude auf die Fortsetzung der Tour seilten und stiegen wir zum ersehnten Bier ab.

Die anstrengende Schlüssellänge (3.SL)

Ein paar Wochen später bot sich uns wieder ein freier Schönwettertag, den wir sogleich nutzten und wieder unsere schweren Rucksäcke den Höllersteig hinaufschleppten. Wer hat dem Steig eigentlich seinen Namen gegeben? Vielleicht wäre er etwas weniger mühsam wenn er „Engelsleiter“ oder „Freudenpfad“ hieße… Diese und viele andere zeitvertreibende Gedanken später standen wir wieder beim Einstieg. Wir eilten durch die schon gemachten längen um schnellstmöglich mit der Fortsetzung starten zu können. Und die ging gleich ordentlich los. Der logische Weg leitete uns eine weitere steile Rissverschneidung hoch, die sehr cool, aber fordernd zu klettern war. Unter einem Überhang bezog ich Stand und sicherte Tom gespannt nach – was er wohl zum Weiterweg sagen würde? Gerade hinauf ging nicht. Links um die Ecke sah es nach leichterem Gelände aus, das uns aber aus der Wandmitte wegführen würde. Und rechts ging es ziemlich steil in die markante Höhle der Wandmitte. Wär eigentlich schon cool, dort hin zu klettern, oder? Also fasste sich Stanzi ein Herz und startete eine massive Querung, die mit ihrer Steilheit und Ausgesetztheit einiges an Courage forderte. Aus der Zuschauerperspektive bot sich mir ein mitreißedes Spektakel, das mit einem freudigen Ausstieg in die Höhle endete. Diese Länge würde als „Bürgermeister Rudi Gedächtnistraverse“ in die Annalen eingehen.

Nun waren wir in den oberen, hellen Platten angekommen. Das Gelände wurde langsam flacher, der Fels fest und schön und die Kletterei machte richtig Spaß. So war schließlich nur mehr eine Länge, 2 Schlaghaken und 8 Bohrhaken übrig. 4 Bohrhaken mussten für Standplätze zurückgehalten werden, also blieben für die letzten 45 Meter 6 Zwischenhaken. Der Wille, die Tour endlich fertig zu klettern, trieb mich mit vollem Fokus und Willen, dem Genuss üppiger Absicherung entbehrend, durch die steile Abschlusswand bis ich knapp unter der Spitze des Pfeilers auf einem gemütlichen Band 2 Standbohrhaken versenkte. Die Wand war endlich durchstiegen und wir sind unsere Tour zu Ende geklettert. Die Freude war groß, der Durst aber größer. Und so waren wir nach 6 teils sehr luftigen Abseilern wieder beim Einstieg und kurze Zeit später im Gastgarten der Bachbrücke beim Johnsbachsteg. Wir feierten die Entstehung des „Weißenbacher Wegs“, in Gedenken an unseren in den Tiefen der Gemeindefusionierungen verschwundenen Heimatort.

Die

Nachdem die erste Euphorie vorbei war wuchs in uns immer mehr die Erkenntnis, das die Tour in diesem Zustand wahrscheinlich kaum Wiederholer finden würde. In der Schlüsselstelle wären einige Züge im 8. Grad zwingend frei zu klettern und ein Großteil der Tour ist sehr rustikal abgesichert, sodass wir eine Wiederholung der Tour kaum empfehlen wollten. Natürlich wäre es für den inneren Alpinisten schön, wenn die Tour ganz im Stile der Erstbegehung als Zeuge der eigenen Mut und Willenskraft bestehen würde. Aber von diesem Zeugnis würden nicht viele etwas haben. Und als moderne und aufgeschlossene Kletterer ziehen wir das Klettererlebnis und den Wunsch, diese Tour mit mehr Menschen zu teilen dem Stolz vor.

Darum beschlossen wir, die Tour erstens noch etwas nachzubohren, und zweitens dabei auch gleich eine freie Begehung zu probieren. Im August 2020 war es schließlich so weit: wir ergänzten 15 zusätzliche Bohrhaken, wodurch der Klettergenuss nun deutlich erhöht ist und die schwersten Stellen auch A0 geklettert werden können. Eine Plaisirtour ist es dadurch trotzdem nicht unbedingt und es muss an vielen Stellen ordentlich über die Haken hinausgeklettert werden. Was nun im Endeffekt dabei herausgekommen ist entnehmt ihr am besten dem Topo, den Bildern oder – im besten Fall – ihr schaut es euch vor Ort selbst an.

Facts:
„Weißenbacher Weg“ – Planspitze Nordwestgrat-Pfeiler
Oliver Rohrmoser und Thomas Stanzinger, 2019-2020
12 Seillängen
300m
8+/9- (7+ obl.)

Anspruchsvolle, steile Freiklettertour in großteils schönem Fels, der aber auch abenteuerliche Passagen aufweist. Steile Verschneidungen, diffizile Platten und eine oft sparsame Absicherung fordern kreatives und sauberes Klettern sowie eine gewisse Portion Moral
Material: 12 Expressen, BD-Cams 0,3-2, Kleine bis mittlere Keile
Zustieg:  1,5 – 2 Stunden via Höllersteig ab Parkplatz Buchsteinhaus in Gstatterboden
Abstieg:  Abseilen über die Tour
Tipp: Gleich neben dem Einstieg rinnt meistens etwas Wasser herunter, bei dem man in nicht allzu trockenen Zeiten die Wasserflasche auffüllen kann.

Topo Weißenbacher Weg, Planspitze

Tourenbericht „Idealpfeiler (7)“ – Koppenkarstein + Conditions-Report Dachstein

Wer den „Kopp“ kennt, der weiß um seine außergewöhnliche Felsqualität. Diese konnten wir am Wochenende trotz suboptimaler Wetterprognose nicht widerstehen und so fanden wir uns in der Morgensonne in der 2. Gondel auf den Hunerkogel wieder. Beim Zustieg durch den Rosmarienstollen ins Edelgries liegt noch sehr, sehr viel Schnee und wir waren bei der ausgesetzten Querung dankbar, Steigeisen mit zu haben. Dafür ist dank der Schneemassen der Einstieg in die Tour unproblematisch, es gibt keine Randkluft und man steigt irgendwo im ersten Drittel der 1. Seillänge ein.

Zur Kletterei am Idealpfeiler: Sie ist einfach traumhaft. Die Felsqualität gehört zum besten, was man in den Kalkalpen finden wird. So wechseln sich traumhafte, gut strukturierte Platten mit Henkel-Passagen und steilen Aufschwüngen. Die Schwierigkeiten bewegen sich meist im 6. und 7. Grad und sind sehr konstant. Manche Passagen verlangen ganz schön Fingerschmalz und muten eher als 7+ an, also auf softe Bewertung sollte man sich nicht immer einstellen. Dennoch ist es keine Plaisir-Tour. Dank des neuen Dachsteinführers weiß man mittlerweile zum Glück, welche Touren in welchem Ausmaß saniert wurden – das vermeidet so manchen Überraschungseffekt. Im Falle des Idealpfeilers sind Alle Stände mit 1 großen Klebehaken und vereinzelten Bohrhaken in den Seillängen, zusätzlich zu den alten Schlaghaken. Man sollte also zusätzlich zu einem kleinen Sortiment kleiner und mittlerer Friends auf jeden Fall etwas Moral mitbringen. Für geübte Alpinkletterer, die sich im oberen 7. Grad sehr wohl fühlen ergibt das einen wundervollen Mix aus Klettergenuss und etwas Nervenkitzel. Genau so wollen wir es, oder?

Leider zogen immer mehr Wolken über die Wand und der Wind frischte zunehmend auf, sodass wir die letzten beiden Seillängen ausließen und abseilten. Mit 2 x 50m Seilen geht das hervorragend und man ist im nu wieder am Wandfuß. Und dank des vielen Schnees im Moment auch sehr schnell unten bei der Türlwand-Hütte.

Verhältnisse Dachstein-Gebiet 7.6.2020

Durch die kühlen letzten Wochen liegt im gesamten Gebiet noch sehr viel Schnee, davon auch einiges an Neuschnee von der letzten Woche. Der Dachstein Gipfel wird noch oft mit Skiern gemacht. In der Dachstein Südwand liegt noch sehr viel Schnee, das wird noch eine Weile dauern. Am Koppenkarstein und Türlspitz sind schon viele Routen trocken, außer jenen, in denen Schneefelder liegen (z.B. Merci Cherie am Kopp) oder Kamine und Verschneidungen. Steigeisen und Pickel sind im Moment in der Regel gut dabeizuhaben. Im Edelgries könnte man auch noch gut Skier nehmen, die Schneeauflage reicht bis zum Ende des Edelgrieskares bis ungefähr auf Höhe des Gamsfelpfeilers.

Mehr Infos zum Klettern am Dachstein und anderen Top-Klettergebieten sowie Tourentipps von lokalen Bergführern findest du HIER

„It’s time to ROCK“ Video

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Klettern kann extrem sein. Muss es aber nicht. Wir haben die richtige Klettertour für dich, damit es vor allem eines ist: Ein unvergessliches Bergerlebnis! ??‍♀️

Unter https://animont.at/produkt-kategorie/rock/ findest du die beste Auswahl an Klettererlebnissen für Genießer, Abenteurer und Könner.

Es ist Zeit, aus Träumen Erlebnisse zu machen! ?

SPECIAL 2020

Programm Frühjahr & Sommer 2020

Der Bergtourismus wird im Sommer 2020 etwas anders ablaufen als gewohnt. Wir wissen noch nicht mit Sicherheit, ob uns touristische Infrastruktur wie Seilbahnen und Berghütten wie gewohnt zur Verfügung stehen werden. Auch die geschlossenen Grenzen sind ein Thema, das große Planungsunsicherheit schafft. Aber deshalb auf Bergsteigen und Klettern verzichten? „No way“ sagen wir und liefern dir mit unserem „Special 2020“ unsere Empfehlungen für Klettertouren und Hochtouren für den Sommer 2020:

 Special ROCK                 Special ICE

 

Was steckt dahinter? Im Grunde das, was uns alle seit einigen Wochen mehr und mehr begleitet: Lokales und regionales Denken – oder wie wir es formulieren: Climb local und entdecke mit uns die schönsten Touren in Österreich. Wir haben sie so konzipiert, dass sie entweder ohne Hütten oder Seilbahnen funktionieren, oder wir im Falle erneuter Schließungen auch ohne sie auskommen. Viele unserer Klettertouren sind auch für absolute Kletter-Neulinge ein Genuss und einige unserer Hochtouren werden selbst Westalpen-erprobter Bergsteiger begeistern. Trau dich und entdecke mit uns die vertikale Schönheit Österreichs!

Wahre Alpine Spezialitäten, frisch aus der Animont-Tourenschmiede, sind unsere „Trilogien“, mit denen wir Liebhabern besonderer Kletter- und Hochtouren einen Leitfaden zu den schönsten Bergen und Felswänden Österreichs bieten.

Allen Kletterern und Freunden des vertikalen Genusses empfehlen wir zusätzlich einen Blick auf unser Detailprogramm Führungen Alpinklettern und unser Best-Of Alpinklettern – unsere Auswahl der schönsten Klettertouren! Die meisten davon liegen in Österreich und können als Tagestour durchgeführt werden oder auf Wunsch zu mehrtägigen Kletterurlauben kombiniert werden – in Zeiten wie diesen perfekt!

Nützen wir die Situation gemeinsam als Chance, um alte Muster zu hinterfragen und die Auswirkungen unserer Entscheidungen zu bedenken. Wie oft fahren wir für viele Tage in die Westalpen (oder noch weiter weg) und genießen dort die Bergwelt auf intensive Weise? Für die heimischen Berge wenden wir allzu oft nur Kurzbesuche auf: schnell rauf, runter – auf Wiedersehen. Jetzt ist mehr Zeit zum Verweilen. Jetzt ist die Zeit, den umweltfreundlichen Urlaub zu wählen und ganz nebenbei lokale Österreichische Betriebe zu unterstützen. Nützt eigentlich allen, oder?

Kletter am Dachstein mit Bergführer - Koppenkarstein

Storno-Bedingungen

Da es momentan eingeschränkte Planungssicherheit gibt, ändern wir unsere Stornobedingungen für Buchungen während der Pandemie. Sollte die gebuchte Tour aufgrund COVID19-bedingter, gesetzlicher Einschränkungen, nicht durchführbar sein, wird die Tour kostenfrei storniert. Dies beinhaltet zum Beispiel: Probleme beim Grenzübertritt, Alternativlose Schließung von Unterkünften, Untersagen der Bergführer-Tätigkeit, etc.). Damit bieten wir auch Gästen aus dem Ausland eine Möglichkeit, sich einen Platz bei unseren Programmen sichern zu können.

Die Großglockner Überschreitung mit Bergführer, inklusive Glocknerwand.

Eisklettern in den Dolomiten

Eisklettern Dolomiten Rosengartenspitze

von Oliver Rohrmoser

Die Dolomiten haben uns noch nie enttäuscht! Nachdem das Eis in den Tauern heuer noch eher mager ist, entschlossen wir uns kurzer Hand für einen Kurztrip in die Dolomiten. Mit dem Wissen um den starken Eiskletterer Peter als Ropegun konnte ich es kaum erwarten, wieder einmal scharfe Hauen im Eis zu versenken.

Bei Traumwetter trafen wir uns in der Nähe von Cortina und gingen ins Val Travenanzes. Kleiner Tipp: Ski besser zu Hause lassen, der Zustieg eignet sich mit dem ganzen Windwurf und dem dichten Wald nicht wirklich für Skier. Es gibt eine gute Fußspur bis zu den Eisfällen. Und noch ein Tipp: Keine Wertgegenstände im Auto lassen – als wir zurück kamen waren bei 2 Autos die Fensterscheiben eingeschlagen und es fehlten die Geldtaschen…

Vor uns waren schon einige Seilschaften am Werk. Diese kletterten „Cascata di Primavera“ (sah sehr gut aus) und die neue Mixed-Tour „La Churri“. Der Kanadische Traum hat noch eher weniger Eis. Wir entschieden uns für den „Pilone Centrale“, der im Moment super steht und sich wunderbar kletterte.

Eisklettern Dolomiten Travenanzes Pilone Centrale

Am nächsten Tag kletterten wir eine kürzlich (wieder?)-entdeckte Fels & Eis Linie auf die Rosengartenspitze. Eine gewaltige Tour, die uns ein cooles alpines Abenteuer auf einen stolzen Dolomitengipfel bescherte. Schwere Rucksäcke, schwere Schuhe und eine wunderbare, alpine Kulisse – da kam Bergsteiger-Feeling auf.

 

Tags darauf war es leider schon wieder Zeit für die Heimreise. Am Weg nahmen wir noch den Klassiker „Damokles“ in Kolfuschg mit, der im Moment mit einer spannenden linken Ausstiegsvariante keine Langeweile aufkommen lässt. Standesgemäß war an den Eisfällen oberhalb von Kolfuschg viel Betrieb – wie immer war das Eis hier sehr gut.

Danke Peter für den coolen Trip – möge die Eis-Saison noch lange andauern!

Willst auch du Eisklettern in den Dolomiten entspannt unter der Führung eines Staatlich Geprüften Berg- & Skiführers erleben? Dann schau dir unser Programm DOLOMITEN EISKLETTERN an oder schick uns eine Anfrage, wir erstellen gerne eine individuelles Angebot für dich!

Eisklettern Dolomiten Kolfuschg Damokles

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Reisen und Klettern in Madagaskar

von: Oliver

Es ist nun schon ein paar Wochen her, seit wir aus Madagaskar zurückgekehrt sind. Während sich vor dem Fenster der Winter über unsere heile Welt ausbreitet, wirken die Gedanken an Madagaskar fast unwirklich. Was bleibt von dieser roten, staubigen und kulturell so fremden Insel? In diesem Fall einiges: Respekt vor den Menschen der 3. Welt, Erinnerungen an paradiesische Landschaften und außergewöhnliche Klettereien und eine neue Perspektive auf unser Hohes Ross der Industrienationen.

Madagaskar.

Aber eins nach dem anderen. Passend zur modernen Schnelllebigkeit wird man in weniger als 24 Stunden vom heimatlichen Alltag in den Flughafen von Antananarivo (kurz: Tana) katapultiert und mit einem Schlag befindet man sich in einer anderen Welt. Es ist Mitte September und die trockene, warme Luft kündigt den beginnenden Frühling auf der Südhalbkugel an. Wir sind gespannt, wie Madagaskar aussieht, diese große, exotische Insel.

Am nächsten Tag treten wir voller Tatendrang aus unserem Hotel. Wir wollen Madagaskar entdecken, wollen dieses exotische Land kennen lernen und die Reiselust in uns spüren. Aber vom ersten Tag an zeigt uns Madagaskar die Realität: es ist eines der ärmsten Länder der Welt. Und die Hauptstadt Antananarivo gibt uns gleich die volle Dosis: Armut, Elend, Müll, Gestank. Und wir nun mittendrin, als reiche Westler. Wir sind hier Millionäre (aus 1000€ werden 4.000.000 Ariary!) und unser Vorhaben, aus reinem Vergnügen und zum Klettern dieses Land zu bereisen, fühlte sich plötzlich so beschämend und völlig fehl am Platz an. Dieses Schamgefühl, dazu die Scheu vor dieser Armut und das Misstrauen gegen all die fremden Menschen ergaben einen sehr unangenehmen Gefühlmix, der die Reiselust in uns nicht gerade befeuerte.

Diego Suarez und der paradiesische Norden.

Aber wir waren nun einmal hier und uns voller Überforderung und Unbeholfenheit in unserem Hotelzimmer zu verstecken war auch keine Option. Face it! Also raus aus dem Kulturschock und auf dem schnellsten Weg ab in den Norden der Insel, nach Diego Suarez. Dort liehen wir uns für 2 Tage Mountainbikes und erkundeten die Umgebung. Schön langsam machten wir uns vertraut mit dieser Insel. Die Menschen in Diego sind extrem freundlich, die Landschaft mit viel türkisem Meer, Palmen und weißen Sandstränden paradiesisch und es gibt hier für madagassische Verhältnisse viel Tourismus. UND wahnsinnig schöne Klettergebiete: Über die Firma „NewSeaRoc“ kann man außergewöhnliche Klettertrips buchen, die wahrscheinlich einzigartig auf der Welt sind.

Im Valle des Perroquets kletterten wir am vielleicht schönsten Fels, den wir je erlebt haben. Der fantastische, extrem versinterte und löchrige Kalk über riesigen Urwaldbäumen und den für Madagaskar typischen Baobabs ist hier ein Paradies für Kletterer von 6a bis 7a – die Griffe sind so unfassbar gut, man kann es kaum glauben. Leider ist diese wunderschöne Landschaft am Montagne des Francaise durch illegale Abholzung stark gefährdet. Mit einem Aufenthalt im „Jungle Camp“ von NewSeaRoc, das gleich außerhalb des Valle des Perroquets liegt, leistet man einen sehr wichtigen Beitrag zum Erhalt des dortigen Urwalds. Denn durch den Tourismus entstehen Jobs für die locals und sie erkennen, dass sie mit dieser einmaligen Naturlandschaft Geld verdienen können, ohne sie zu zerstören.

Das bekannte Klettergebiet auf der Nordseite des Montagne des Francaise ist übrigens im Moment gesperrt, das Hakenmaterial ist leider in sehr schlechtem Zustand.

Das Nosy-Hara-Archipel.

Die meisten Kletterer, die Madagaskars Norden besuchen, tun dies aber wegen des Nosy Hara Archipels. Das Team von NewSeaRoc, zu dem unter anderem der bekannte Erschließer Michael Piola gehört, hat hier ein Camp geschaffen, das in mehrerlei Hinsicht außergewöhnlich ist. Etwa 2 Autostunden westlich von Diego Suarez liegt in der Straße von Mosambique das Meeresschutzgebiet Nosy Hara. Mit einem einfachen Holzboot fährt man in weiteren 2 Stunden von einer fast menschenleeren Küste in das unbewohnte Archipel zur Insel Nosy Andantsara. Auf dieser ca. 200 x 200m großen Insel befindet sich das größtenteils aus Schwemmholz und Stroh gebaute Camp, inmitten scharfer Kalkfelsen und weißen, mit Korallen und Muscheln übersäten Sandstränden. Fast schon kitschig. Als wir ankamen, waren wir 4 Kletterer und etwa 8 Leute des NewSeaRoc-Personals – sonst niemand, so weit das Auge reichte.

Die Kletterei ist schön, auch hier kommen vor allem Kletterer im 6. Franzosengrad voll auf ihre Kosten – schwerere Routen gibt es nur vereinzelt. Die Hakenqualität ist leider nicht immer sehr gut, was die Auswahl der kletterbaren Routen um einiges einschränkt. Aber dies ist ohnehin kein Ort, an dem es nur ums Abhaken von Schwirigkeiten geht. Vor allem die Korallenriffe rund um die Insel und das Robinson-Crusoe-Gefühl bringen auch Hardcore-Kletterer auf andere Gedanken.

Eigentümlich ist, dass es im Nosy Hara Archipel verschiedene „Fadys“ gibt. Das sind Tabus, die auf Geisterglauben und Riten der Madagassen beruhen. So darf man auf nichts und niemanden mit dem gestreckten Finger zeigen und man muss unterschreiben, dass man keine Bibel auf die Inseln bringt. Wenn man die benachbarte Insel Nosy Anjombavola besucht, gelten noch strengere Fadys, da hier alte Könige begraben liegen – hier ist Schreien und Pfeifen verboten.

Nach 4 Tagen verabschiedeten wir uns wieder von diesem Paradies und traten die Rückreise in die madagassische Wirklichkeit an.

Diego die 2.

Zurück in Diego Suarez dauerte es einige Tage, bis wir wieder in der Realität ankamen. Wir genossen wieder die reifen Bananen, Mangos und Papayas und die freundliche und offene Art der Madagassen. Wir besuchten Nationalparks und sahen die ersten Lemuren. Schön langsam begannen wir zu begreifen, dass „wenig haben“ nicht gleich Armut ist. Wieder einmal bestätigte sich, dass Menschen, die nichts haben, trotzdem noch bereit sind, mit anderen zu teilen und wir erkannten, dass unsere westlichen Denkmuster hier nicht funktionierten. Wir verloren auch unsere Scheu vor den fremden Gesichtern und entdeckten die extrem freundlichen, offenen und bewundernswerten Menschen dahinter. Unser Gefühl sollte uns nicht täuschen: weder hier, noch irgendwo anders in Madagaskar hatten wir jemals Angst um unsere Sicherheit, noch wurde uns etwas gestohlen.

A long way down.

Unser nächstes Ziel, das Tsaranoro-Massiv im Südosten der Insel, lag nun 1500 km von uns entfernt. 1500 km auf der Nationalstraße – klingt eigentlich nicht so wild, oder? In Madagaskar bedeutet das 45 Stunden Busfahrt über Straßen, die zwischen den immensen Schlaglöchern oft nicht mehr als solche erkennbar sind. Gefahren wird hier mit alten Mercedes-Sprintern, die mit allen erdenklichen Mitteln am Leben gehalten werden. Für die erste Teilstrecke kauften wir ein Ticket für ca. 26€ bei Cotisse Transport, einer relativ modernen Firma, die Fernverbindungen anbietet. Diese Busse fahren um fixe Uhrzeiten ab und man hat einen eigenen Sitzplatz, was für die 30 Stunden-Fahrt nach Antananarivo Gold wert war. Anfangs dachten wir noch, Diego wäre von Slums umgeben – überall nur Bretterbuden und Wellblech-Verschläge auf dem nackten Lehmboden. Doch nach einigen Stunden Busfahrt wurde uns klar: ok, so leben und wohnen die Leute hier. Unsere westlichen Denkmuster begannen zu rattern: warum richten es sich die Leute hier nicht besser? Was fehlt den Menschen hier? Die Erde ist fruchtbar, alles wächst, also könnten sie sicher etwas verdienen. Aber mangelt es wirklich nur an Geld? Auch. Aber wie soll man eine Trinkwasserleitung bauen, wenn es keine Wasserrohre gibt? Wie soll man Bretter verschrauben, wenn man weder Schrauben noch Werkzeug besitzt? Wie überlebt man ohne jegliche staatliche Hilfe weil es keine öffentlichen Ausgaben gibt? Wie lebt es sich in einem Land, wo das Geld einer ganzen Nation, Steuergeld, Hilfsgelder, Tourismuseinnahmen in korrupten Untiefen verschwindet? Und selbst wenn die Leute Geld hätten: wie soll man zu all den Utensilien kommen, wenn es keine ordentlichen Straßen, kaum LKWs und so gut wie keine Industrie gibt, die diese Dinge herstellt? Wenn man in der Peripherie einer 3.-Welt-Insel lebt, die fernab des Weltgeschehens im Indischen Ozean schwimmt, mangelt es, materiell gesehen, an so ziemlich allem. Wir begannen zu verstehen…

Ungezählte Schlaglöcher, Reisfelder und Dörfer später kamen wir völig zermatert in Tana an – ja so ist das Reisen hier. Für die weitere Teilstrecke nach Fianarantsoa bekamen wir leider kein Cotisse Ticket mehr, also fuhren wir mit dem Taxi zum „Busbahnhof“ im Süden der Stadt. Als wir mit unseren riesigen Reisetaschen am „Busbahnhof“ eintrudelten, fühlten wir uns wie 2 dicke, weiße Maden, die einen Ameisenhaufen betreten. „Go with the flow“ für Fortgeschrittene. Nach vielen Verhandlungsrunden, mehreren Schweißausbrüchen und einigen Momenten, in denen wir dachten, wir selbst oder unsere Taschen seien verloren, landeten wir schließlich in einem Bus, der uns problemlos in weiteren 10 Stunden nach Fianarantsoa brachte.

Dort holte uns der nette Franzose Gilles ab und fuhr mit uns ins Tsaranoro-Tal.

Tsaranoro-Valley.

Die Wände im Tsaranoro-Tal sind weltbekannt. Wenn man um die Kurve fährt und sie das erste Mal erblickt, weiß man auch warum. Die fast 1000m hohe Hauptwand des Tsaranoro ist so mächtig und durchgehend steil, dass es jedenfalls für einen guten Kinnladen-Dropper reicht. Gilles ist nicht nur ein netter Franzose, er ist auch der Betreiber des Camps „Tsarasoa“ und einer der Pioniere im Tsaranoro Tal. Er war dort nicht nur einer der ersten Kletterer, sondern hat auch das erste Camp, Camp Catta und seitdem zahlreiche Initiativen für die regionale Bevölkerung gemacht. Sein Camp „Tsarasoa“ führt er sehr nachhaltig. Es werden großteils lokal produzierte Lebensmittel verwendet, kein Plastikmüll produziert und man trinkt dort aufbereitetes Quellwasser. Mit dem Geld, das er über den Tourismus verdient, finanziert er zahlreiche Projekte wie Wiederaufforstungen im Tal und gibt dadurch etwa 100 Menschen im Tal eine geregelte Arbeit. Ziemlich cool fanden wir!

Es gibt genug Beschreibungen und Fotos über den Tsaranoro und seine Trabanten, also mache ich es kurz: Fette Grantiwände, wunderschöne, exotische Landschaften und kaum Kletterer. Großteils mit Bohrhaken abgesicherte Plattenklettereri in brutal grobkörnigem Granit, dazu Lemuren in den Wäldern und den Felswänden und Djungle-Sounds den ganzen Tag. Die Wände sind großteils Ostwände und die Temperaturen im Herbst sehr heiß für Klettern in der Sonne – das heißt: entweder sehr früh aufstehen oder erst zu Mittag starten. Die meisten Routen sind 6c und schwerer. Die Zustiege sind großteils einfach zu finden, die Abstiege teilweise tricky. Darum: im Zweifelsfall einheimische Führer nehmen. Die sind billig (ca. 20€ für Zu- und Abstieg), kennen sich super aus, finden auch ohne Stirnlampe und barfuß alle Zustiege im Dunkeln und warten auf Wunsch mit ein paar Flaschen Wasser und einem feinen „Riz cantonnaise“ am Gipfel, wenn ihr aus eurer Bigwall austoppt. Tooop!

Das Camp Tsarasoa ist sehr empfehlenswert und der Platz, wo alle Kletterer schlafen. Dort bekommt man auch alle Topos und aktuelle Infos über Neuerschließungen und den Zustand von Touren. Es gibt gutes Essen vor Ort, aber Snacks und Jause sollte man genug aus Tana oder Fianar mitbringen. Leider war das Wetter im Oktober diesen Jahres unüblich instabil mit teilweise starken Gewittern am Nachmittag, wodurch wir uns nicht in die ganz langen Touren trauten.

 

Wir sind folgende Routen geklettert:

„Pectorine“ – Lemur Wall (6b/A1, 300m)
Für Tsaranoro untypisch steiler, extrem schön strukturierter Fels. Gut eingebohrt, aber teilweise etwas runout. Wunderbare Kletterei und gute Eingewöhnungstour! Und ja, Lemuren bevölkern den Wandfuß!

„Vazahamateur“ – Chamaeleon (6c, 300m)
Sehr schöne, extrem gut eingebohrte (18 Expr.!) Tour mit 2 wunderschönen, steilen Schlüssellängen. Achtung auf Adlerhorst direkt neben der Tour!

„Dancing with the World“ – Mitsinjoarivo (7a, 300m)
Himmel und Hölle. Neue Tour durch eine sehr steile Wand, leider unvorteilhaft bis dumm gebohrt. Schwierige Einstiegsplatte, 2 sehr unangenehmen Kaminen, dafür 2 geniale Längen im Mittelteil durch steilen, gelben Felsen mit neongrünen Flechten und ein extrem ausgesetzter Quergang mit super Fels, der dir das Adrenalin bei den Ohren rausschießt – sicherlich 2 der abgespacesten Kletterlängen meines Lebens.

„Out of Africa“ – Tsaranoro Kely (7a, 580m)
DER Klassiker im Gebiet. Super Kletterei in perfektem Fels, sehr schlau gebohrt. Lang, anhaltend und nach oben hin immer schwerer werdend. Eine geniale Tour, die wir zu unserer Freude beide im Onsight klettern konnten. Einstieg im Dunkeln sehr schwierig zu finden, für den Abstieg empfehlen wir einen Guide (Fali knows the way).

„La croix du sud“ – Vatoviandry (6b, 300m)
Leichte Plattentour mit kurzer Passage durch eine Wasserrille. Auch wenn sie sehr beliebt ist kann sie unserer Meinung nach nicht mit den anderen Touren mithalten.

„Varavarana tantolo“ (7b, 440m)
Etwas mühsamer Beginn über Reibungsplatten, darüber aber geniale Längen. Gut eingebohrt. Die 7b-Länge geht durch einen gutgriffigen Überhang in eine Höhle – die vielleicht coolste Länge, die wir im Gebiet geklettert sind, zu unserer Freude ging sie gleich im ersten Versuch. Leider mussten wir nach 6 Seillängen abseilen und vor einem Gewitter flüchten.

„Tsaradonga“ – Lemur Wall (6c+/A0, 270m)
Sehr schöne Tour, gleich schön und gutgriffig wie die benachbarte „Pectorine“. Wunderschöner Ausstieg auf Granitkuppe.

Nach insgesamt 5 Wochen war es Zeit, sich von Madagaskar zu verabschieden. Wir freuten uns sehr auf unser sauberes zu Hause, auf ungefährliches Essen auf einen funktionierenden Alltag. Aber wir waren uns sicher: dieses afrikanische Lebensgefühl, diese Unbekümmertheit trotz auswegloser Tristesse, dieses sich gegenseitig in die Augen schauen, eine Welt, in der Zeit keine Rolle spielt und die lachenden Kinder, die sich so über ein „Salü“ freuen, werden wir zu Hause vermissen.

Während der Busfahrt zurück nach Tana hielt unser Bus an einem Markt. Ich saß am Fenster und am Straßenrand stand ein junger Mann, der an seinem Stand Obst verkaufte. Ich sah ihn an. Er sah mich an. Er machte keine Anstalten, mir Obst verkaufen zu wollen und ich wollte kein Obst kaufen. So sahen wir uns ein paar Sekunden in die Augen. Während dieser Sekunden dachte ich darüber nach, was ihn an als Marktverkäufer an den Straßenrand gebracht hatte, während ich als Tourist ferne Länder bereise. Was macht den Unterschied, dass ich in seinen Augen reich bin, während er an westlichen Standards gemessen bettelarm ist? Ist er weniger fleißig? Hat er die falschen Entscheidungen getroffen? Nein. Er wurde einfach in Madagaskar geboren und ich in Österreich. That’s it.
Er begann zu lächeln. Ich begann zu lächeln. Und plötzlich lachten wir beide, ohne zu wissen warum. Ich bewunderte diesen jungen Mann, er schien so glücklich und so sorglos, kein Funke von Neid oder Ablehnung in seinem Blick. Ich sah Stolz und Neugier in seinen Augen. Da wurde mir bewusst, wie reich er doch ist. Reich an Zeit, reich an Würde, reich an Herzlichkeit. Reichtum und Armut sind relativ und hängen nur bedingt von finanziellen und materiellen Mitteln ab – it’s what you make of it. Als der Bus weiter fuhr wünschten wir uns gegenseitig einen guten Tag und er verschwand aus meinem Blickfeld. Aber sein Eindruck und die Bewunderung blieben.

 

Madagaskar ist ein absolutes Abenteuer. Eine Kultur, die in ihren Strukturen 200 Jahre zurückliegt und vom modernen Konsum und der Globalisierung überrollt wird. Das ist nicht nur spannend anzuschauen, mit einem Besuch leistet man auch einen wichtigen Beitrag zum Nationalstolz und einer Entwicklungsperspektive dieses besonderen Landes. Schaut es euch an!

 

Factbox

Beste Reisezeit. April bis November (Trockenzeit)

Sprache. Mit Französisch kommt man überall durch, englisch wird kaum gesprochen.

Flug. München – Antananarivo ca. 15h via Paris, ca. 1100€.
Antananarivo – Diego Suarez: ca. 2h mit Air Madagaskar, 230€, direkt am Flughafen in Tana gebucht.

Organisation. Die Schweizer Reiseagentur PRIORI ist sehr empfehlenswert. Sie helfen bei der Organisation, haben deutschsprachige Ansprechpartner in Antananarivo und man kann in ihrem Büro in Antananarivo Gepäck deponieren, was bei unserer Reiseroute Gold wert war.

Geld. Geldwechseln am besten direkt am Flughafen: 1€ = 4000 Ariary (Okt. 2019). Man sollte sich nicht auf Bankomaten oder Kartenzahlung verlassen. Viele Reiseanbieter akzeptieren Euro.

Ausflüge. Für die meisten Touren und Trips braucht man ein Fahrzeug mit Fahrer, was etwa 40€ pro Tag kostet, ein Allrad-Jeep mit Fahrer ca. 60€ pro Tag. Zusätzlich muss man in allen Nationalparks pro Tag 55.000 Ar. Eintritt pro Person + einen Führer für weitere ca. 70.000 Ar zahlen.

Hotelempfehlungen.
Antananarivo: „Tana Jacaranda“: ca. 15€ pro Zimmer und Nacht. Sehr sauber und freundliches, englisch sprachiges Personal. Ruhige, zentrale Lage.
Diego Suarez: „Hotel Concorde“: ca. 12,5€ /Zimmer/Nacht. Günstig, gut gelegen und sauber. Oder:
„Hotel de la Baie“: 25€/Nacht im Bungalow. Schöne Bungalow-Anlage am Rand von Diego. Holiday-Feeling.

Trips in Diego. Tagestrips haben wir bei der Agentur „Diego-Raid“ in der Rue Colbert gebucht. Hier kann man auch Mountainbikes leihen. Freundliches Personal, das gut englisch spricht.
Den Rest direkt über NewSeaRoc:
Jungle Park: ca. 70€ /Person/Nacht
Nosy Hara: ca. 80€ /Person/Nach + 60€ Transportkosten + 55.000 Ar./Tag für Nationalpark

Tsarasoa. Anreise über Fianarantsoa und Ambalavao. Taxi ab Fianarantsoa ca. 70€. Übernachtung: 12,5€ pro Nacht im Bungalow, 5€ pro Nacht am Zeltplatz. Mahlzeiten kosten zwischen 3 und 5€.

Essen. Das typische Gericht ist Reis mit Zebu-Fleisch und Gemüse. Dazu viel Obst. Ein normales Gericht in einem Touristenlokal kostet ca. 5€. Lokale Früchte sind am Markt für einen Spottpreis erhältlich.

Kletterfacts. Sportklettern im Norden: Hauptsächlich Routen zwischen 6a und 7a. 70m-Seil und 15 Expressen reichen. Sehr viel Potential für Neuerschließungen!
Tsaranoro: Zustiege 30min – 2h, technisch leicht. Abstiege teilweise schwierig über sehr steile Granitplatten und durch dichtes Gebüsch, gutes Schuhwerk erforderlich. Abseilen oft möglich. 2x 60m Seile, 18 Expressen und ein kleines Set Friends reichen für die meisten Touren.

Links.
http://www.priori.ch
https://www.cotisse-transport.com/home
http://www.newsearoc.com
https://www.tsarasoa.com 
https://madagascarpartnership.org/field-sites/montagne-des-francais/